Data Storytelling: Von nackten Fakten zu Geschichten

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Im Zeitalter der Digitalisierung werden nicht nur die Informationen immer komplexer, sondern auch die Masse und der Umfang an verfügbarem Wissen, Prozessen und Daten steigen immer weiter an. Große Datenmengen über beinahe jeden Aspekt unseres Lebens zu analysieren ist aufgrund der Entwicklung der Informationstechnologie kein Problem mehr. Die menschliche Wahrnehmung ist jedoch weniger darauf ausgelegt, nackte Zahlen zu erfassen, als vielmehr zusammenhängende Informationen in Form von Geschichten zu verarbeiten. Data Visualization Experte Stephen Few stellt fest: „Numbers have an important story to tell. They rely on you to give them a clear and convincing voice.”

Doch was genau wird unter dem Begriff „Data Storytelling“ verstanden? Häufig wird dieser mit den verschiedensten Methoden assoziiert: Infografiken, Dashboards und Daten-Präsentationen. Jedoch ist Data Storytelling viel mehr als nur die Erstellung visuell ansprechender Datendiagramme. Datengetriebenes Storytelling wird als ein strukturierter Ansatz zur Einblicksgewährung in Datenerfassungen verstanden und umfasst eine Kombination aus den drei Schlüsselelementen Daten, Visualisierung und Narrativität (siehe Unterpunkt „Die Kunst, Zahlen zum Sprechen zu bringen“).

Data Storytelling als notwendige Zukunftskompetenz

Botschaften, Wissen und Daten effektiv zu vermitteln und beim Empfänger im Gedächtnis zu verankern, ist in vielen Branchen und Unternehmensbereichen ein notwendiger und zugleich schwieriger Vorgang. Schon 2009 erklärte Google’s „Chef-Ökonom” Dr. Hal R.Varian in einem Interview : „The ability to take data – to be able to understand it, to process it, to extract value from it, to visualize it, to communicate it – that’s going to be a hugely important skill in the next decades.“ Dieser klugen Einschätzung kann heute eindeutig zugestimmt werden. Qlik, führender Anbieter von Visual Analytics, hat mit Cognizant und BARC erforscht, wie und zu welchem Zweck Unternehmen mit Data Storytelling arbeiten. 74 Prozent der Befragten geben an, mit Data Storytelling den Umsatz steigern zu können, etwa durch das Erschließen neuer Märkte. Knapp ein Fünftel der Befragten setzt Data Storytelling ein, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen und 85 Prozent optimieren damit ihren Ressourceneinsatz.

Eine Wohltat für das Gehirn

Bei der Verarbeitung im Gehirn aktivieren Geschichten komplexe neuronale Prozesse, die eine stärkere emotionale Reaktion hervorrufen als wenn lediglich ein Datensatz präsentiert wird. So können die Inhalte schneller übertragen werden und sind leichter zu merken als nüchterne Zahlen. Menschen hören Statistiken, aber fühlen Geschichten: Rezipienten einer Geschichte können die darin vermittelten Informationen in virtuelle Erfahrungen verwandeln. So aktiviert beispielsweise ein Duftwort wie Vanille das Geruchszentrum des Gehirns und der Satz „Unseren Käufern gefällt die weiche abgerundete Form des Produkts“ spricht das Tastsinnzentrum der Zuhörer an. Dieser wichtige Unterschied zahlt sich für Data Storyteller in einigen wichtigen Punkten aus:

  • Einprägsamkeit: Eine Studie des Stanford-Professors Chip Heath fand heraus, dass sich 63% der Teilnehmenden an Geschichten erinnern konnten, während sich eine Statistik nur von 5% gemerkt wurde.
  • Überzeugungskraft: In einer weiteren Studie testeten Forscher zwei Varianten einer Broschüre für die NGO „Save the Children”. Die auf einer Geschichte basierende Version übertraf die infographische Version um durchschnittlich 2,38 zu 1,14 gespendete Dollar pro Teilnehmer.
  • Engagement: Storytelling fördert zudem Vertrauen und Engagement. Der Mathematiker John Allen Paulos bemerkt: „In listening to stories we tend to suspend disbelief in order to be entertained, whereas in evaluating statistics we generally have an opposite inclination to suspend belief in order not to be beguiled.”

Die Kunst, Zahlen zum Sprechen zu bringen

 Eine gute Data Story ist kontextgerecht aufbereitet, hat einen klaren Fokus und bedient sich narrativer sowie visueller Mittel, die für die Zielgruppe leicht verständlich sind.

Handlung:

Teile des Datenbestandes dienen als Protagonisten, während die anderen den Rahmen für die Handlung bilden. Häufig kommt dabei die bewährte Drei-Akt-Struktur zum Einsatz. Der Anfang der Geschichte (Exposition) schildert das Thema sowie die Ausgangssituation. Dies beinhaltet den Kontext der Analyse, die Beschaffenheit der Daten, angewandte Methoden und Herausforderungen. Im zweiten Akt (Konfrontation) stehen die Thesen beziehungsweise die Hauptfrage der Untersuchung. Die Auflösung des Konflikts präsentiert schließlich die gewonnenen Erkenntnisse mit Handlungsempfehlungen und Entscheidungsvorlagen. Neben diesem einfachen Schema lassen sich auch komplexere Strukturen nutzen, wie etwa die Heldenreise nach Joseph Campbell.

Die Auswahl der richtigen Erzählperspektive ist für die Wirkungsweise der Informationen und Protagonisten der Geschichte entscheidend. Marketing Manager Ben Jones nennt sieben Typen von Data Stories:

  • Change over Time: Darstellung von Transformationen
  • Drill Down: Vom Allgemeinen zum Speziellen
  • Zoom out: Vom Speziellen zum Allgemeinen
  • Kontrast: Vergleich von zwei oder mehreren Protagonisten
  • Intersection: Kreuzungspunkt zweier oder mehrerer Protagonisten
  • Faktoren: Visualisierung der Kausalwirkung mehrerer Handlungsstränge
  • Outlier: Geschichte über Ausreißer bzw. Sonderfälle

Kontext:

Unter dem Kontext wird der eigentliche Datenanalyseauftrag mit seinem speziellen Ziel und Zweck sowie die Perspektive der Zielgruppe verstanden. Der Data Storyteller versetzt sich demnach in die Lage sowohl des Auftraggebers als auch des Rezipienten der Analyse und geht auf deren Ausgangssituation und Bedürfnisse ein. Folgende Fragen sind dabei hilfreich: Wer soll meine Botschaft hören? Wie viel Vorwissen ist dabei vorhanden? Was genau soll ich dem Empfänger vermitteln? Welche Daten untermauern meinen Standpunkt und auf welche Art?

Visualisierung:

Durch Visualisierung im Data Storytelling werden textuelle Elemente und Daten zu einem narrativen Fluss verbunden. Das Gehirn nimmt Fokus und visuelle Hierarchien unbewusst wahr, bevor die tatsächliche Informationsanalyse stattfindet – hierbei wird von präattentiver Wahrnehmung gesprochen. Diese Eigenschaft lässt sich nutzen, um die wichtigsten Informationen einprägsam darzustellen und eine schnelle Erfassung zu erleichtern. Fehlt eine visuelle Hierarchie, so folgt das Auge des Betrachters einem vorhersehbaren Lesepfad (z.B. von links nach rechts).

Folgende Merkmale lassen sich gezielt nutzen, um die Informationswahrnehmung zu beeinflussen:

  • Position: Je weiter oben, desto wichtiger und je weiter links, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Wort wahrgenommen wird
  • Größe: Größere Elemente ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich
  • Ausrichtung: Eine Abhebung in der Ausrichtung erregt Aufmerksamkeit
  • Wiederholung: Wiederholte Stile erwecken den Eindruck des Zusammenhangs
  • Nähe: Eng beieinander platzierte Elemente erscheinen zusammengehörig
  • Weißraum: Freier Platz hebt das Element in dessen Mitte hervor
  • Kontrast: Dramatisch kontrastierende Farben fallen leichter ins Auge
  • Farbe: Helle Farben ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich als dunkle oder gedämpfte

Die obere Visualisierung ist ein gelungenes Beispiel für den Einsatz von visuellen Hierarchien. Sie verbindet unterschiedliche Datensätze, um daraus Aufschluss über einen möglichen Zusammenhang zwischen Waldbränden und Bevölkerungsdichte in Portugal zu gewinnen – eine Verbindung ist auf den ersten Blick ersichtlich. Die roten Gebiete der Waldbrände ziehen zunächst durch die Farbe und die Größe der Flächen die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf sich. Als nächstes bewegt sich der Blick hin zu den blauen Punkten der dicht besiedelten Regionen. Anschließend werden die Zusammenhänge durch ein ständiges Vergleichen der beiden Visualisierungen analysiert. Letztendlich folgt ein Blick auf die Überschrift, die Legende und weitere Details.

Daten:

Schlechte Datenqualität kann die Glaubwürdigkeit der Data Story enorm beeinträchtigen. Deshalb sind die zugrundeliegenden Daten genauer zu betrachten, noch bevor es an die Präsentation der Ergebnisse geht. Häufig sind die Rohdaten inhomogen, liegen in unterschiedlichen Strukturen vor oder haben keinen einheitlichen Informationsgehalt. Auch Herkunft und Validität sind teilweise unsicher oder ein Datensatz ist unvollständig. Gefragt werden muss deshalb: Basiert die präsentierte Entscheidungsgrundlage auf einem geringeren Datenbestand als erforderlich? Hat man bei der Interpretation der Daten auf eine bestimmte Hypothese hingearbeitet? In diesem Fall sollte dies gleich am Anfang der Geschichte klargestellt werden, um eine Fehlinterpretation auf Seiten der Zuhörer zu vermeiden.

Schattenseiten: Fehlende Korrelation und kognitive Verzerrung

Data Storytelling kann Datenexperten dabei helfen, gewonnene Erkenntnisse nachvollziehbar zu vermitteln. Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang auch Schattenseiten.

Menschen fällt es schwer, ohne begleitende Informationen zwischen Korrelationen und Kausalitäten zu differenzieren. Eine misslungene Informationsdarstellung kann im Zweifelsfall zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Zudem wird jede Geschichte aus einem bestimmten Blickwinkel erzählt. Sowohl der Erzähler als auch der Zuhörer unterliegen eigenen kognitiven Verzerrungen, den unterbewussten Beurteilungstendenzen im eigenen Denkprozess (genannt: Bias). Es gibt eine Fülle bereits erforschter Biases, die sich grundsätzlich vier Kategorien zuordnen lassen und entstehen durch:

  • zu viel Informationen
  • zu wenig Bedeutsamkeit
  • starken Handlungs- / Entscheidungsdruck
  • Begrenzung der menschlichen Merkfähigkeit

Als Beispiel für eine verzerrte Informationsdarstellung lässt sich eine US-Studie anführen, welche auf einen Zusammenhang zwischen tätowierten Menschen und einer erhöhten Straffälligkeitsrate hinwies. Eine Kausalität bestand jedoch nicht. Dennoch schien dies für die breite Masse „eine gute Story“ zu sein, die perfekt in ein antrainiertes Klischee passte.

Eine Reihe weiterer fadenscheiniger Korrelationen sind auf der Website „Spurious-Correlations“  zu finden. So korreliert dort z.B. die Scheidungsrate im US-Bundesstaat Maine mit dem durchschnittlichen US-Margarine-Konsum.

Eine ausführliche Übersicht der kognitiven Biases findet sich hier.

Gelungene Data Stories

Gute Beispiele für die Verbindung von Datenanalyse und Story lassen sich in den unterschiedlichsten Bereichen finden.

Ein Beispiel ist der datengetriebene Journalismus, eine durch die Analyse von Massendaten unterstützte Art der Berichterstattung. So startete The Guardian 2009 als erste große Nachrichtenorganisation eine Initiative, um öffentlich zugängliche Datenquellen in die Berichterstattung zu integrieren. Die interaktiven Darstellungen ermöglichen einen individuellen Konsum der Nachrichten. Ein aktuelles Beispiel ist die Verbreitung der australischen Buschfeuer.

Eine Marke, die Data Storytelling erfolgreich einsetzt ist Uber: Der beliebte Peer-to-Peer-Fahrgemeinschaftsdienst nutzt seine riesige Datenmenge, um den Nutzern den Wert seiner Dienstleistung aufzuzeigen und so eine Unterhaltung zu entfachen, die nicht nur über die Fahrer und Mitfahrer, sondern auch über die Gesellschaft und das menschliche Verhalten im Allgemeinen geführt wird. Die Data Story „Ten facts you may not know about Uber drivers“ weist auf wichtige gesellschaftliche Trends hin. Wussten Sie zum Beispiel, dass 24% der Uber-Fahrer Unternehmer sind, die die Flexibilität und das stetige Einkommen aus der App nutzen, um ihre eigene Geschäftsentwicklung zu unterstützen?

Weitere gute Data-Driven Storytelling Beispiele finden Sie unter HubSpotSkyword und Vertical Leap.

Mit narrativen Ansätzen im Web und Social Media beschäftigen wir uns auch in dem Seminar „Digital Storytelling – mit Geschichten Reichweite im Web schaffen“ am 18. und 19. Juni 2020 im Rahmen der Fortbildung mit Hochschulzertifikat „Storytelling im Unternehmen“ in Stuttgart. Noch sind wenige Plätze für Kurzentschlossene frei. Hier geht es zur Anmeldung!

 

 

Quellen:

https://www.wearesquared.de/blog/data-driven-storytelling
https://www.forbes.com/sites/brentdykes/2016/03/31/data-storytelling-the-essential-data-science-skill-everyone-needs/#268c049152ad
https://www.vertical-leap.uk/blog/what-is-data-storytelling/
https://www.bi-scout.com/jedes-vierte-unternehmen-setzt-auf-data-storytelling
https://www.skyword.com/contentstandard/from-stats-to-stories-the-evolution-of-data-storytelling/
https://www.mckinsey.com/industries/technology-media-and-telecommunications/our-insights/hal-varian-on-how-the-web-challenges-managers
https://www.nytimes.com/2012/03/18/opinion/sunday/the-neuroscience-of-your-brain-on-fiction.html
https://www.fastcompany.com/1680581/why-storytelling-is-the-ultimate-weapon
https://www.youtube.com/watch?v=sEZj-eUfbNo
https://books.google.de/books/about/Show_Me_the_Numbers.html?id=kaOFQgAACAAJ&redir_esc=y
https://www.amazon.de/Storytelling-Data-Visualization-Business-Professionals/dp/1119002257
https://ux-day.de/data-that-tells-stories/
https://www.amazon.de/Cognitive-Illusions-Intriguing-Phenomena-Judgement/dp/1138903418
http://www.tylervigen.com/
https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_cognitive_biases
https://www.theguardian.com/data
https://www.uber.com/en-CA/blog/montreal/10-facts
https://blog.hubspot.com/marketing/data-driven-storytelling-brand-examples?__hstc=158092517.079ba4ef3da153460491570f42f0c617.1578935928729.1578935928729.1578935928729.1&__hssc=158092517.2.1578935928729&__hsfp=1453234633#sm.0001c2br8vneme23107y8tqun1b4l
https://m.heise.de/developer/artikel/Data-Storytelling-Datenerkenntnisse-sichtbar-machen-4310294.html?seite=all
https://www.strategisches-storytelling.de/data-storytelling/

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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