Gemeinsam Einsam – Eine Studie von Masterstudierenden der Hochschule der Medien in Stuttgart
Die Coronapandemie hat das Studierendenleben komplett auf den Kopf gestellt. Seit März 2020 wird im Hochschulbetrieb fast ausschließlich Online-Lehre angeboten, d.h. gemeinsames Lernen in der Bibliothek, Semesterpartys und andere Social Events gehören nicht mehr zur Tagesordnung der Studierenden.
Doch wie erleben sie die Zeit? Welche Auswirkungen hat die digitale Lehre auf ihren Alltag und ihr Sozialleben? Und ist Online Lehre aus Sicht der Studierenden auch nach der Pandemie ein zukunftsfähiges Konzept?
Diesen Fragestellungen sind HdM-Masterstudierende des Kurses “Storytelling im Unternehmen” von Prof. Dr. Michael Müller nachgegangen. Um die erlernten Kursinhalte in der Praxis anzuwenden, führten die Studierenden insgesamt 14 narrative Interviews mit Bachelor- und Masterstudierenden, die sowohl vor als auch während der Coronapandemie studiert haben. Die Erkenntnisse aus den qualitativen Interviews wurden von den Studierenden in der narrativen Studie „Gemeinsam einsam – Wie Studierende die digitale Lehre während der Coronapandemie erleben“ festgehalten, die ab sofort zum Download zur Verfügung steht.
Die Studie befasst sich mit den drei Hauptschwerpunkten Zeit, Struktur und Lehrinhalte und sozialer Raum. In der Kategorie Zeit wurde erforscht, inwieweit sich das Zeitempfinden der Studierenden, während der digitalen Lehre geändert hat bzw. ob es Unterschiede in der Zeiteinteilung und -nutzung gibt. Der Analyseschwerpunkt in der Kategorie Struktur und Lehrinhalte liegt hierbei auf den Veränderungen und Verschiebungen, genereller Strukturen eines Studiums, welche durch die virtuelle Lehre entstanden sind. Die abschließende Kategorie sozialer Raum untersucht, wie wichtig die zwischenmenschliche Ebene und das soziale Erleben für ein erfolgreiches und erfülltes Studium ist.
Zeit
Die Zeit wurde von Studierenden während der Pandemie anders empfunden als üblich; häufig berichten Studierende von einem Tagesablauf, der von einer lähmenden Monotonie geprägt ist. Die Gesamtheit der Coronapandemie wird durch die Online-Lehre allerdings als eher flüchtig wahrgenommen.
Außerdem wird die Zeit von Studierenden anders genutzt und erlebt; durch die virtuellen Vorlesungen besteht kaum die Möglichkeit sich mit den Kommiliton:innen auszutauschen, wodurch es schwierig ist neue Kontakte zu knüpfen. Daraus resultiert auch die Kernaussage, dass die gewonnene Zeit, die im Normalfall zur Pflege sozialer Kontakte eingenommen wurde, neuerdings für mehr Arbeit und Projektarbeiten der Hochschule/Uni genutzt wird.
Als positiv empfinden die Studierenden jedoch die Flexibilität, die die Online-Lehre mit sich bringt. Dies stellt allerdings für viele Studierende eine Herausforderung für das eigene Zeitmanagement dar, da durch Online-Vorlesungen kein Grund mehr besteht besonders früh aufzustehen und somit ein wichtiger Bestandteil ihrer Tagesstruktur wegfällt.
„Ich fands immer viel besser, wenn ich früh Vorlesung hatte, irgendwie um acht oder so[…] aber ich fands dann immer viel besser, weil dann war ich wach und hatte n Grund aufzustehen und dann war ich irgendwie viel motivierter, als wenn man irgendwie dann um 14 Uhr die erste Vorlesung hat. Und ich muss ganz ehrlich zugeben dann hab ich auch viel Zeit verdümpelt dann vormittags, weil, ja, keine Ahnung da muss man dann halt theoretisch noch nix machen.”
Struktur und Lehrinhalte
Die virtuelle Lehre hat vor allem die Alltagsstruktur der Studierenden verändert. Durch die Online-Lehre liegt der Weg zur Vorlesung nur noch zwischen Bett und Laptop, denn alle Studieninhalte können vom heimischen Schreibtisch aus bearbeitet werden. Dabei handelt es sich für die Mehrheit der Studierenden um eine einschneidende Veränderung, welche als besonders negativ bewertet wird. Der Weg von den eigenen vier Wänden zum Campus wurde vor der Pandemie von den Studierenden nämlich als besonders wichtig eingestuft.
Insgesamt berichten die Studierenden davon, wie sie die Anpassung an die Online-Lehre erlebt haben. Dabei wird deutlich, dass sie es schätzen, wenn interaktive Methoden angewendet werden und regelmäßige Pausen angeordnet werden, um die Konzentrationsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Was den meisten Studierenden allerdings fehlt, ist der Austausch; nicht nur mit den Kommilitonen, sondern auch mit den Dozierenden.
„Aber für so ein beruhigendes Gespräch mit dem Dozenten vor einer Präsentation, wenn man sich da mal absprechen wollen würde, für sowas ist das halt total doof immer noch, das funktioniert in Präsenz viel besser und das Gespräch im Zoom–Meeting ist halt nicht so intensiv, wie wenn man sich so trifft, da traut man sich auch weniger manchmal.”
Sozialer Raum
Für viele Studierende ist das Studium vor der Coronapandemie an die Erinnerungen mit den Kommiliton:innen gebunden. Durch fehlende Präsenzvorlesungen und andere Veranstaltungen rund um die Hochschule/Uni ist es allerdings nicht mehr möglich sich mit den Mitstudierenden zu treffen und sich auszutauschen. Vor allem für Studierende im ersten Semester fiel es während der Coronapandemie sehr schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Viele Studierende berichten von einem Gefühl der Einsamkeit, welches durch die Online-Lehre entstanden ist. Die Kontaktpflege über Online Tools wie Zoom ist eine Herausforderung. Die ungewohnte Situation während der Online-Gruppenarbeit ließ die meisten Studierenden dazu verleiten, sich nur fachlich auszutauschen anstatt wie üblich auch das ein oder andere private Thema anzusprechen.
„[I]ch hab das Gefühl, digital hat man eigentlich sehr wenig über Privates geredet. Man hat seine Arbeit gemacht und hat dann gesagt, ok ich muss jetzt zum nächsten Treffen, tschüss.”
“[Im] Digitalen war eher nur wichtig einfach nur irgendwas zu lernen und irgendwie die Lerninhalte aufnehmen zu können”
Online-Lehre: ein Format der Zukunft?
Die Coronapandemie und die damit verbundenen Maßnahmen – die sich im universitären Kontext insbesondere in der Umstellung auf die Online- Lehre äußern – stellen einen einschneidenden Wendepunkt im Studium der Protagonist:innen dar.
Vor allem lassen sich Veränderungen ihrer bisher verankerten Strukturen, ihres sozialen Lebens und ihrer subjektiven Wahrnehmung von Zeit feststellen.
Die Erkenntnisse der Studie liefern auf jeden Fall einen Denkanstoß für die Gestaltung zukünftiger wissenschaftlicher Lehre. Wie werden Lehrangebote an Hochschulen und Universitäten wohl nach der Coronapandemie aussehen? Es wird spannend!
Hier gehts zur Studie: https://www.narrationsforschung.de/wp-content/uploads/2021/07/Gemeinsam_Einsam_Studie.pdf