Nachberichterstattung zum 2. Storytelling-Camp – Teil 2: Fiction in Print und Bewegtbild
Der zweite Themenblock des Storytelling-Camps widmete sich dem Bereich der Fiction. Prof. Sibylle Knauss, Léonie-Claire Breinersdorfer und Prof. Dr. Eva Stadler waren die Referentinnen des Nachmittags und widmeten sich den Themenfeldern Print und Bewegtbild.
Romane, die eigentliche Domäne des Erzählens
„Vergangenes vergegenwärtigen – was sonst bedeutet Narration?“. Prof. Sibylle Knauss machte den Anfang und sprach in ihrem Vortrag über Romane, die eigentliche Domäne des Erzählens. Die Autorin und Professorin hatte sich zwei Beispiele ausgesucht, an denen sie das Konzept des charakterzentrierten Erzählens darstellte. Sowohl in Daniel Kehlmanns „Tyll“ als auch in ihrem eigenen Buch, welches aktuell noch in der Entstehungsphase ist, stehen starke Protagonisten im Mittelpunkt, die den Leser ganz und gar in ihren Bann ziehen. Tyll Uhlenspiegel, die Hauptfigur in Kehlmanns Roman, lebt zu Zeiten des 30jährigen Krieges und zieht durch das ganze Land, lernt die unterschiedlichsten Personen aus allen sozialen Schichten der Gesellschaft kennen und lässt sein Schicksal mit den ihren verschmelzen. Trotz des schweren historischen Stoffes, der wie ganz nebenbei erzählt wird, fiebern die Leser mit dem Protagonisten mit. Auch in Knauss eigenem Buch, das von Sibylle von Cumae handelt, einer Seherin und Prophetin, die der Legende nach im 6. Jahrhundert vor Christus lebte, geht es um eine starke Protagonistin. Laut einer Sage hatte sie eine Affäre mit dem Gott Apollo, der ihr dafür so viele Lebensjahre gab wie Sand in eine Hand passte. Knauss spinnt die Geschichte nun in die Gegenwart weiter: Sibylle müsste mit all den Jahren, die sie bekommen hat, noch immer in unserer Zeit leben. Das besonders faszinierende dabei ist Sibylles Blick auf die Gegenwart. In beiden Romanen wird also Geschichte anhand starker Protagonisten erzählt, und das nicht ohne Grund: Laut Knauss ist das Konzept des charakterzentrierten Erzählens eins der erfolgreichsten Konzepte überhaupt. Allen Schreibwilligen rät sie deshalb, sich Charaktere zu suchen, in denen die Kraft steckt, Erzählstoffe zu organisieren und zu transportieren. Die erfahrene Autorin weiß: Das Ergebnis dabei kann erstaunlich sein.
Wenn die Fakten stimmen, ist die Story besser
Im zweiten Vortrag des Nachmittags berichtete Léonie-Claire Breinersdorfer über das Drehbuchschreiben für den Tatort und die Adaption vom Roman zum Fernsehfilm. Den Erfolg des Tatorts, den es inzwischen schon seit 47 Jahren gibt, macht sie dabei besonders an zwei Kriterien fest: Regionalität und Aktualität. Durch die Situierung des Formats in ganz Deutschland lassen sich regionale Besonderheiten aufgreifen, durch die sich die Zuschauer mit dem Film identifizieren können. Das kommt an und erzeugt Zuschauerbindung. Und da der Tatort relativ schnell umgesetzt werden kann, ist es auch möglich, brandaktuelle Themen zum Inhalt zu machen – Autoren sind dabei keine Grenzen gesetzt. Breinersdorfer betonte besonders, dass das Drehbuchschreiben keine literarische Kunst sei, sonder sehr viel mit Handwerk zu tun hat. So gibt es ein festes Konstruktionsschema, dem (fast) immer entsprochen wird: Die Leiche wird in den ersten fünf Minuten gefunden, die Ermittlungsarbeiten setzten ein, nach einer Blindspur wird der Fall schließlich aufgeklärt und der Täter ermittelt. Trotz festem Schema ist der Tatort immer noch ein Format, bei dem Autoren relativ frei sein können: Es gibt die Möglichkeit, aus verschiedenen Sichtweisen zu erzählen, Rückblenden oder auch Stilmittel einzubauen. Obwohl dabei oft keine realistische Polizeiarbeit abgebildet wird, betont die Stuttgarterin wie essentiell gute Recherchearbeit für ihren Beruf ist: Wenn die Fakten stimmen, ist die Story besser. Auch Breinersdorfer selbst ist deshalb schon mit der Polizei auf Streife gefahren.
Bei der Filmadaption kommt es wiederrum auf ganz andere Faktoren an. Das Hauptproblem hierbei ist, dass Sprache über Gedanken- und Gefühlsebenen viel mehr Informationen mitliefern kann, als das Bilder tun. Deshalb wendet Breinersdorfer die folgende Methode an, um Gefühle in einen Film zu transportieren: Sie visualisiert das Buch zuerst in ihrem Kopf und beschreibt dann die Szenen. Dafür müssen notfalls auch Anpassungen vorgenommen werden, die so im Buch nicht vorkommen. Vor allem der Anfang ist wichtig: Der muss „knallen“, damit die Leute dranbleiben und weiterschauen. Trotz der vielen Arbeit, die in jedem Drehbuch steckt, weist Breinersdorfer darauf hin, dass kein Skript einfach abgegeben und dann genauso verfilmt wird. Das Schreiben eines Drehbuchs geschieht immer in einem großen Team und ist ein ständiger Veränderungsprozess. Viele wollen an der Geschichte mitwirken, deshalb kann es auch sein, dass am Ende ein ganz anderes Produkt entsteht, als am Anfang geplant war. Das Gute dabei: Es kann etwas viel größeres entstehen, als man selbst geglaubt hat.
Wir glauben die Realität zu kennen
Der letzte Vortrag des Tages wurde von Prof. Dr. Eva Stadler, Professorin an der Hochschule der Medien, mit dem Titel „Real or Fake – Wie viel Realität steckt in fiktionalen Projekten?“ gehalten. Stadlers Einstiegsbeispiel macht die Notwendigkeit der Frage deutlich: Jeder kennt die Sissy-Filme –aber war die reale Sissy wirklich so, wie sie dort dargestellt wird? Wir glauben die Realität zu kennen, wissen aber nur, was uns der Film mitteilt. Deshalb stellte Stadler in ihrem weiteren Vortrag Faktoren vor, die Realitätsnähe in Geschichten signalisieren können. Den ersten Faktor machen die an einem Film beteiligten Akteure aus. Da Autoren oder Produzenten verschiedene Absichten und Wünsche haben, die sie transportieren möchten, wird auch jede Ausgabe eines Produktes anders sein. Wenn also eine Serie erscheint, die auf einem Roman basiert, der wiederrum auf einer wahren Begebenheit basiert, dann wurde die Realität schon mehrfach abgebildet. Was ist ursprünglich wirklich passiert? Ein weiterer Faktor, den Stadler nennt, ist die Recherche: Ein gutes Maß an Recherche sorgt für Realitätsnähe. Diese Informationen können entweder von einem Insider kommen, der bestens über die Materie Bescheid weiß, oder man ist gezwungen, sich selbst einen Zugang zur Szene zu verschaffen und darin zu recherchieren. Auch die Struktur ist ein Faktor für Realitätsnähe: Episodisches Erzählen, wie z.B. beim Modell der Heldenreise, macht es Zuschauern leichter, der Geschichte zu folgen. Je klarer die Struktur, desto klarer ist auch die Realitätsnähe der Geschichte. Ebenso muss die Besetzung glaubwürdig sein und zur jeweiligen Rolle passen. Der Ort der Handlung und die Ausstattung sind für einen realistischen Eindruck ebenfalls entscheidend.
Mit diesem spannenden Themenblock endete das 2. Storytelling-Camp. Wie auch im letzten Jahr fand die Veranstaltung im altehrwürdigen Metropol-Kino im Herzen Stuttgarts statt und bot zahlreichen Teilnehmern die Möglichkeit, sich rund um das Themenfeld Storytelling weiterzubilden. Für alle, die selbst ein Storytelling-Camp live erleben möchten, können sich auf das nächste Jahr freuen: Das 3. Storytelling-Camp ist bereits für die Filmschau 2018 Anfang Dezember geplant. Wer nicht so lange warten möchte, der hat auch die Möglichkeit, die Tagung „Geschichten von tausend Orten – Stories of a thousand places“ des IANA am 18. Mai 2018 zu besuchen.
Daniela Lausch